Im Jahr 2015 war die sogenannte «Balkanroute» der Hauptweg für Asylsuchende nach West- und Nordeuropa. Diese Route versuchen europäische Regierungen aktuell auf zwei Arten zu schliessen: Einerseits durch eine verstärkte Grenzsicherung in den Balkanstaaten, und andererseits durch ein neues Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und der Türkei. Dieses sieht in erster Linie vor, dass Asylsuchende, die über den Seeweg nach Griechenland gelangen, unmittelbar rückgeführt werden. Diese Pläne müssen unter wichtigen rechtlichen und moralischen Gesichtspunkten kritisch betrachtet werden. Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage, ob eine solche Abschottung eigentlich funktionieren kann.
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, sollen in zwei Beiträgen jene Massnahmen betrachtet werden, die andere westliche Staaten bisher unternommen haben, um als «unerlaubt» und «unerwünscht» empfundene Einwanderung zu stoppen: die australische Operation Sovereign Borders in Teil 1, sowie die Verstärkung der Grenzkontrollen an der US-Mexikanischen Grenze in Teil 2.
Die australische Operation Sovereign Borders
Ähnlich wie in Griechenland oder in Italien haben auch in Australien viele Schutzsuchende versucht, das Staatsgebiet per Boot zu erreichen. Ziel waren ebenfalls dem Festland vorgelagerte Inseln, insbesondere die Weihnachtsinseln sowie die Ashmore- und Cartierinseln. Im Rekordjahr 2013 wurden insgesamt 20‘587 Personen auf 300 Booten registriert. Um dem entgegenzuwirken, startete die konservative Regierung Australiens noch im selben Jahr die Operation Sovereign Borders. Diese umfasst eine Abschreckungskampagne, eine Verstärkung der Kontrollen der genannten Inseln und internationalen Gewässers durch die australische Marine, die systematische Zurückdrängung von Booten in internationale oder indonesische Gewässer, sowie die Internierung von Bootsflüchtlingen in Drittstaaten (vornehmlich Papua Neuguinea und Nauru).
Ist diese Massnahme legal?
Nein. Der UN-Ausschuss gegen Folter, Australische Expertinnen und Experten, Amnesty International und Human Rights Watch haben die Massnahme alle als Verstoss gegen verschiedene Aspekte des internationalen Menschenrechts (u.a. der Genfer Flüchtlingskonvention, der Menschenrechtserklärung und des UN-Pakt II) bezeichnet und aufs Schärfste verurteilt. In seiner Antrittsrede sprach der amtierende Hohe Kommissar für Menschenrechte hinsichtlich der Operation Sovereign Borders gar von einer «Verkettung von Menschenrechtsverletzungen».
Funktioniert die Massnahme?
Die Massnahme zeigt Wirkung. Seit dem Start von Operation Sovereign Borders gelang es bloss einem einzigen Schiff mit 157 Passagieren, auf australischem Staatsgebiet anzulanden. Mehrere Boote wurden erfolgreich in indonesische, vietnamesische oder indische Gewässer zurückgedrängt.
Was kostet die Massnahme?
Nach Berechnungen des staatlichen Australischen Rundfunks ABC kostet die Operation Sovereign Borders etwa drei Milliarden Franken jährlich. Dies entspricht knapp dem Hundertfachen der jährlichen Ausgaben für die Operation Triton der europäischen Staaten im Mittelmeerraum, oder dem Zwanzigfachen des Gesamtbudgets von Frontex. Selbst das Gesamtbudget des von der EU-Kommission vorgeschlagenen Europäischen Grenz- und Küstenschutzes – welches wohlbemerkt nicht nur für den Schutz der Mittelmeerküste vorgesehen ist – beträgt nur ein Zehntel der australischen Ausgaben.
Was kann Europa hiervon lernen?
Die Effektivität der Operation Sovereign Borders mag für manche europäische Politikerinnen und Politiker sicherlich reizvoll erscheinen. Es ist aber (noch) fraglich, ob sich die EU wirklich in menschenrechtlich derart dunkle Gewässer vorwagen würde. Realistischerweise werden wohl vor allem auch die hohen Kosten abschreckende Wirkung haben: Allein das griechische Seegebiet ist etwa zwanzigmal grösser und umfasst das Zehnfache an Küste als das im Rahmen der Operation Sovereign Borders kontrollierte Gebiet. Angesichts der Tatsache, dass die EU-Kommission schon mit dem Vorschlag eines gemeinsamen Küsten- und Grenzschutzes scheitert, erscheint eine gemeinsame Operation dieser Grössenordnung überaus unwahrscheinlich.
Fazit: Eine effektive Kontrolle der Seewege übers Mittelmeer wäre theoretisch zwar möglich. Sie würde jedoch sowohl einen Verstoss gegen internationale Menschenrechte als auch exorbitant hohe Kosten mit sich bringen.
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