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Tobias Eule

Warum Flüchtende nicht einfach in Libyen bleiben können

In den letzten Wochen hat die Diskussion über die Lage von Flüchtenden im Mittelmeerraum einmal mehr Fahrt aufgenommen. Anlass hierfür sind die Rettungsmissionen und Ankünfte von Migrierenden an der italienischen Küste. Rund 95‘000 Menschen sind seit Beginn des Jahres über den zentralen Mittelmeerraum nach Europa geflohen, dabei sind mindestens 2300 ums Leben gekommen. Nach dem Abschluss des Abkommens zwischen der EU und der Türkei vom März 2016, welches die Rückweisung aller in Griechenland ankommenden Personen ermöglicht, ist die Route über Libyen der mit Abstand wichtigste Fluchtweg nach Europa. Diesen versuchen die Europäische Kommission und Regierungen nun seit Ende letzten Jahres einzudämmen. Neben einem Abkommen mit Libyen im Rahmen des EU Partnership Framework werden erneut die Schliessung italienischer Häfen für Rettungsmissionen und Sanktionen für Organisationen, die auf See Flüchtende unterstützen diskutiert. In den letzten Wochen haben gar Mitglieder der rechtsextremen Identitären Bewegung mit einer Initiative Schlagzeilen gemacht, die Flüchtende per Boot in libysche Gewässer zurückdrängen und Rettungsmissionen vereiteln soll.


All diese Ansätze verkennen, in welcher Lage sich Libyen zurzeit befindet. Drei Gründe sollen im Folgenden genannt werden, die zeigen, warum Flüchtende nicht einfach dort belassen werden können.


Libyen ist politisch instabil und in bürgerkriegsähnlichem Zustand

Libyen wurde zwischen 1969 und 2011 von Muammar Gaddafi regiert. Unter dessen Herrschaft wurde die Zivilbevölkerung unterdrückt und zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt. Seit 2011 herrscht in Libyen ein Bürgerkrieg, bei dem zunächst, mit Unterstützung der NATO, Gaddafi abgesetzt wurde. Die Allianz der Rebellen ist seitdem aber zerbrochen, so dass in Libyen aktuell zwei Parlamente und drei Regierungen parallel existieren. Nach wie vor gibt es mehrere hundert, bewaffnete und rivalisierende Milizen, die schreckliche Menschenrechtsverletzungen begehen. Zudem hat der islamische Staat das Chaos ausgenutzt und mehrere Standorte aufgebaut, die von Truppen verschiedener Regierungen bekämpft werden. UNHCR geht von etwa 600‘000 durch interne Vertreibung betroffenen Personen aus.


Zugewanderte sind in Libyen besonderen Gefahren ausgesetzt

Laut UNHCR befinden sich etwa 100‘000 Geflüchtete in Libyen, von denen etwa 40 Prozent registriert sind. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt die Gesamtzahl der Eingewanderten deutlich höher, auf bis zu einer Million. Im unsicheren Gesamtkontext des Landes sind diese Menschen besonders gefährdet – sei es durch illegale Inhaftierung und Folter in den noch aus Gaddafi-Zeiten stammenden Ausschaffungsgefängnissen, oder durch Verschleppungen des Islamischen Staat sowie Gewalt und Ausbeutung durch organisierte Kriminalität. Die Lage ist derart elend, dass in einer Befragung von 720 unbegleiteten Minderjährigen in Italien alle einstimmig angaben, dass die Zeit in Libyen der schlimmste Teil ihrer Flucht war – schlimmer als der Abschied von der Familie, schlimmer als die so oft tödliche Überfahrt über das Mittelmeer. Laut derselben Studie haben die desolaten Zustände gar erst den Fluchtwunsch nach Europa ausgelöst.


Die Lage in Libyen ist ein Produkt europäischer Politik

Flüchtende in Libyen zu blockieren ist nicht nur angesichts der dortigen Lage unverantwortlich, sondern verkennt auch, welche Rolle der Westen und insbesondere Europa in der libyschen Entwicklung hatten, selbst wenn man die koloniale Vergangenheit ignoriert. Europäische Regierungen haben die Gaddafi-Diktatur so lange aktiv gestützt, wie sie Öl geliefert und Zuwanderer aufgehalten hat. Der Sturz des Regimes passierte mit aktiver Unterstützung der NATO, allerdings vollkommen ohne Plan für eine politische Ordnung für die Zeit danach. Der Andrang von Flüchtenden in Libyen ist schliesslich auch eine Folge des EU-Türkei Abkommens, dass die sicherere Route nach Europa über Griechenland und den Balkan effektiv geschlossen hat.

Die «Kanonenbootpolitik» ist nicht die einfache Lösung der Fluchtbewegung über das Mittelmeer, sondern ein Verschliessen der Augen vor der Realität der Instabilität in Nordafrika und den dort herrschenden, menschenunwürdigen Zustände für Geflüchtete.

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