«Es liegen keine Hinweise vor, dass die ungarischen Behörden das Asyl- und Wegweisungsverfahren nicht korrekt durchführen würden. Zudem ist Ungarn Signatarstaat des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, der EMRK sowie des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Vorliegend gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass sich Ungarn nicht an die daraus resultierenden völkerrechtlichen Verpflichtungen halten und ihnen insbesondere keinen effektiven Schutz vor Rückschiebung (Non-Refoulement-Gebot) gewähren würde.»
Bei diesem Zitat handelt es sich um einen Auszug aus einer Entscheidung des Staatssekretariates für Migration (SEM) vom Februar 2017, mittels welcher eine asylsuchende Person nach Ungarn weggewiesen werden soll, da nach der Dublin-III-Verordnung Ungarn für die Behandlung des Asylgesuchs zuständig sei. Die zitierte Aussage scheint jegliche Entwicklungen und Nachrichten zu ignorieren, die uns in den letzten Jahren aus Ungarn erreicht haben. Spätestens seit den neuesten Gesetzesänderungen vom März 2017 sind diese Einschätzungen nicht mehr haltbar.
Im Wettbewerb zur Abschottung von Schutzsuchenden hat Ungarn die Nase ganz weit vorne. Seit die Zahl der Asylgesuche in Ungarn in den letzten drei Jahren markant angestiegen ist, wurde die fremdenfeindliche Haltung der Regierung Ungarns immer deutlicher. Anfang 2017 wurde ein zweiter Grenzzaun angekündigt. Es werden Kampagnen für Abwehrmassnahmen gegen Schutzsuchende und Gesetzesänderungen lanciert, deren Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht schon anfänglich sehr fraglich war und diesem mittlerweile klar entgegensteht.
Serbien – ein sicherer Drittstaat?
Die Serie der Gesetzesverschärfungen im Asylbereich begann im Sommer 2015, als Ungarn erklärte, Serbien von nun an als sicheren Drittstaat zu betrachten. Hintergrund dieser Entscheidung dürfte kaum Entwicklungen in Serbien gewesen sein, sondern die dadurch eröffnete Möglichkeit, alle Asylgesuche von Personen, die über Serbien nach Ungarn einreisten, als unzulässig zu beurteilen. Davon sind etwa 99 Prozent der Asylsuchenden in Ungarn betroffen. Da in Serbien kein effektiver Zugang zu internationalem Schutz besteht, stellt dies eine Verletzung des Non-Refoulement-Gebotes dar.
Ungarisches Haftregime
Die Inhaftierung von Asylsuchenden ist in Ungarn keine Ausnahme. 2016 befanden sich mehr Asylsuchende in Haft als in offenen Asylzentren. Vor kurzem hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) festgestellt, dass Ungarn durch das Festhalten von Asylsuchenden in einer Transitzone und deren Abschiebung nach Serbien gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstossen habe.
Fast zeitgleich hat sich das ungarische Parlament mit grosser Mehrheit für die Festsetzung von Asylsuchenden in Transitzonen ausgesprochen. Diese neue Regelung ist bereits in Kraft, Asylsuchende sollen nahe der Grenze zu Serbien in Containersiedlungen untergebracht werden, die sie bis zur Entscheidung über ihr Verfahren nicht verlassen dürfen. Das Asylverfahren kann sofort und ohne Anfechtungsmöglichkeit beendet werden, wenn eine asylsuchende Person nicht mit den Behörden kooperiert oder die Transitzone verlässt.
Appelle verhallen und Europa schaut zu
Im Dezember 2015 hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet, welches jedoch nach wie vor hängig ist. Verschiedene Organisationen wie das Hungarian Helsinki Committee (HHC), Migszol, Human Rights Watch (HRW), der Europäische Flüchtlingsrat (ECRE) und auch die SFH fordern von den europäischen Staaten auf Rückführungen nach Ungarn zu verzichten. UNHCR verurteilte die Entwicklungen in Ungarn im März 2017 deutlich und rief am 10. April 2017 die Dublin-Staaten auf, vorläufig keine Überstellungen nach Ungarn durchzuführen. Vor dem Hintergrund der besorgniserregenden Entwicklungen haben sich HRW und HHC in einem gemeinsamen Brief an den zuständigen EU-Kommissar gewandt, dessen Ansprache anlässlich seines Besuchs in Budapest jedoch Kritik vermissen liess.
Das Bundesverwaltungsgericht sistiert, das SEM ordnet weiter an
Im Februar 2016 sistierte das Bundesverwaltungsgericht die Überstellung von Personen nach Ungarn, die Beschwerde gegen einen Entscheid des SEM erhoben hatten. Dennoch stellte das SEM vergangenes Jahr 581 Übernahmeersuchen an Ungarn und 65 Personen, welche sich nicht gerichtlich gewehrt hatten, wurden nach Ungarn überstellt. Nach Angaben des Bundesverwaltungsgerichts sind derzeit 199 Beschwerden bezüglich der Zuständigkeit Ungarns hängig. Asylsuchende warten teilweise seit zwei Jahren auf eine Entscheidung, welche lediglich den Ort der Prüfung ihres Asylgesuchs betrifft. Die Asylgründe der betroffenen Personen spielen für diese Frage keine Rolle und konnten noch nicht vorgebracht werden. Diese lange Wartezeit widerspricht dem Grundgedanken des Dublin-Systems und ist für die betroffenen Personen zermürbend und nicht zumutbar.
Doch, es liegen Hinweise vor
Angesichts der neuesten Entwicklungen in Ungarn zeigen sich die Verstösse Ungarns gegen Völker- und Europarecht deutlich. Ungarn ist weiterhin Signatarstaat diverser Abkommen, es liegen jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass sich Ungarn nicht an die daraus fliessenden Verpflichtungen hält und weder Mindeststandards für die Aufnahme von Asylsuchenden einhält, noch ihnen effektiven Schutz vor Rückschiebung gewährt.
von Adriana Romer
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