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Writer's pictureSascha Finger

Von Grenzen, die keine sind und jenen, die keine sein sollten

Nationalstaatliche Grenzen stehen immer wieder im medialen Fokus. Sei es in der Debatte um die Mauer entlang der Grenze zwischen den USA und Mexiko oder im europäischen Kontext im Gespräch um die Festung Europa. Doch wo genau finden wir diese Grenzen und welche Funktionen haben sie?


Ein Territorium definiert sich durch seine Abgrenzung. Innerhalb dieses Territoriums findet sich eine bestimmte politische Ordnung und eine politische Macht, die ihrerseits wiederum die Grenzen und die Ordnung kontrolliert. Doch Grenzen sind nicht nur eine physisch wahrnehmbare Trennung zwischen uns und den anderen. Die auf der Landkarte feststellbare Linie ist bei weitem nicht die einzige Grenze nach der sich Staaten heutzutage richten, wenn es um die Kontrolle von Migration geht, obschon diese gerne für mediale oder politische Aussagen genutzt wird.


Aussen- und (B)Innengrenzen

Anhand der Europäische Union und ihrer Aussengrenzen lässt sich erkennen, wie undurchsichtig Grenzen heutzutage sein können. Ein EU-Mitglied wie Deutschland hat eine innereuropäische Landesgrenze mit Polen, aber eine EU-Aussengrenze mit der Schweiz. Diese Aussengrenze unterscheidet sich, aufgrund bilateraler Abkommen mit der Schweiz sowie der Personenfreizügigkeit, deutlich von einer EU-Aussengrenze mit anderen Drittstaaten, beispielsweise derjenigen von Ungarn mit Serbien.


Da ein EU-Binnenstaat gleiches Stimmrecht innerhalb der EU hat, wie ein EU-Staat an der EU-Aussengrenze, kann ein Binnenland die Kontrolle und Funktion einer Landesgrenze eines anderen EU-Staates, der an der Aussengrenze liegt, massgeblich mitbeeinflussen. Umgekehrt ist dies nicht möglich. Dieser Prozess wird als Institutionalisierung der Grenzen verstanden. EU-Binnenstaaten verlieren teilweise die Kontrolle über ihre eigene Landesgrenze (beim freien Waren- und Personenverkehr). Zugleich übernehmen sie zum Teil die Kontrolle über Grenzen von EU-Aussenstaaten.


Ähnlich verhält sich dies mit dem Schengen-Abkommen, welches auch die Schweiz unterzeichnet hat. Dieses zieht eine zusätzliche Grenzziehung innerhalb Europas nach sich. Auch hier fallen Personenkontrollen weg (ausser im Fall einer nationalstaatlichen Bedrohung), die Grenzkontrollen finden an den Aussengrenzen statt. Dabei stimmen die Aussengrenzen der EU und die des Schengen-Raums nicht gänzlich überein.


Extraterritoriale und lokale Grenzen

Im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik werden u.a. auch Migration und Rückübernahmen behandelt. In Marokko unterstützt die EU beispielsweise eine bessere Grenzsicherung im Süden des Landes. Das EU-Türkei-Abkommen von 2016 ist ebenfalls ein Paradebeispiel für die Veränderung der Funktion einer EU-Aussengrenze. Menschen, die irregulär über die Türkei nach Griechenland einreisen, werden wieder in die Türkei zurückgeschafft. Über bilaterale Abkommen wird demnach eine grosse Pufferzone um Europa geschaffen.


Auf lokaler Ebene erkennen wir kleinräumige Pufferzonen. Staaten wie Ungarn richten scheinbar willkürlich Push-Back-Zonen ein, die in einem bestimmten Abstand entlang der Grenzen führen und in denen Grenzpersonal sowie Polizei irregulär eingereiste Schutzsuchende ohne Asylverfahren ausweisen. Damit wurde die Funktion der Grenze nicht nur auf das Abweisen von Asylsuchenden erweitert, sondern auch geographisch von der Staatsgrenze verschoben. Beide Grenzformen sind mit Blick auf ihre Funktion nicht mit internationalem oder europäischem Recht vereinbar.


Weitere Beispiele nicht-territorialer Grenzen sind Konsulate und Botschaften. Und im Moment eines Negativentscheids bei einem Asylantrag wird der einstige Zufluchtsraum zu einem illegalen Raum, ganz ohne sichtbare Grenze. Andere Orte wie Erstaufnahmezentren oder internationale Flughäfen schränken die Mobilität Schutzsuchender zeitlich und räumlich ein und setzen ihnen somit ebenfalls Grenzen.


Grenzen sind nicht gleich Grenzen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass verschiedene EU-Länder unterschiedliche Rollen bei der Definition und Ausgestaltung von Grenzen wahrnehmen. Gleiches gilt für den Schengen-Raum. Dadurch lässt sich eine zunehmende Institutionalisierung von Grenzen beobachten, die nicht mehr nur eine Schutz- und Kontrollfunktion haben, sondern zur Machtdemonstration innenpolitischer Interessen missbraucht oder über Abkommen mit anderen Staat definiert sind. Zusätzlich gibt es bilaterale Abkommen mit Nachbarstaaten der EU, die zu «Vor-Grenzen» Europas werden und lokale Grenzziehungen, die räumlich und zeitlich variieren und faktisch unsichtbar bleiben. Die Funktionen von Grenzen können sich also genauso verändern wie ihre geographische Verankerung.

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