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Writer's pictureAnne Kneer

Selber urteilen oder zurückweisen? Wie das Bundes-verwaltungsgericht entscheidet

In einem Urteil betreffend Überstellungen von Asylsuchenden nach Ungarn von Ende Mai 2017 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass diese Verfahren aufgrund der Änderungen der Umstände in Ungarn für weitere Abklärungen und zum Neuentscheid an das Staatssekretariat für Migration (SEM) zurückzuweisen sind. Die Bedeutung und Konsequenzen solcher Rückweisungen an die Vorinstanz – die sogenannte Kassationen – und das Hin und Her zwischen den Instanzen sind für Aussenstehende nicht einfach zu verstehen.


Gutheissung ist nicht gleich Bleiberecht

Wird ein Verfahren an die Vorinstanz (das SEM) zurückgewiesen, handelt es sich gemäss der Entscheidformel am Ende des Urteils um eine Gutheissung der Beschwerde. Üblicherweise steht da: «Die Beschwerde wird gutgeheissen». Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass die beschwerdeführende Person in der Schweiz bleiben darf. Nicht selten wird ein Verfahren aufgrund eines Fehlers im rechtlich vorgeschriebenen Ablauf des Asylverfahrens – einem sogenannten Verfahrensfehler – zur Korrektur zurückgegeben. Das SEM wird angewiesen, den fehlerhaften Verfahrensschritt nachzuholen und nochmals über das Asylgesuch zu entscheiden. Dieser neue, zweite Entscheid des SEM kann jedoch nach wie vor negativ sein, sodass die Person allenfalls dennoch die Schweiz verlassen muss. Gegen diesen Entscheid kann nochmals Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben werden. Das Gericht entscheidet erneut und kann entweder die Abweisung des Asylgesuchs und die Anordnung des Wegweisungsvollzugs bestätigen oder die Sache inhaltlich gutheissen.


Eine Kassation ist somit nicht mit einer Gutheissung in der Sache gleichzusetzen, wo der Person vom Gericht Asyl gewährt oder die vorläufige Aufnahme angeordnet wird. Die Konsequenzen für die betroffene Person können nach einer Rückweisung also gänzlich anders aussehen als bei einer Gutheissung in der Sache.


Wann wird zurückgewiesen?

Wie bereits erwähnt, wird ein Verfahren an das SEM zurückgewiesen, wenn dieses fehlerhaft abgelaufen ist, zum Beispiel bei einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Dabei wird das SEM üblicherweise angewiesen, das Asylverfahren wieder aufzunehmen und neu über das Asylgesuch zu entscheiden. Gründe hierfür können beispielsweise sein, dass die asylsuchende Person zu einer Abklärung des SEM nicht Stellung nehmen konnte oder dass es das SEM im Entscheid unterliess, sich zu einem Aspekt des Asylgesuchs zu äussern.


Das Bundesverwaltungsgericht kann aber auch kassieren, wenn der Sachverhalt noch weiter abgeklärt werden muss. Zwar kann auch das Gericht selbst solche Abklärungen anordnen. So kann es beispielsweise verfügen, dass Arztberichte, Botschaftsabklärungen, Länderberichte eingeholt oder Beweismittel überprüft werden. Übersteigen diese Abklärungen einen gewissen Aufwand, weist das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren aber ans SEM zurück. Dabei gibt es dem SEM genau vor, welche zusätzlichen Abklärungen zu tätigen sind. Dies können weitere Anhörungen der betroffenen Person sein, eine Koordination mit anderen Asylverfahren oder – oftmals – weitere Abklärungen bezüglich der aktuellen Situation im Land, in das die Person weggewiesen werden soll. Eine Rückweisung an das SEM sollte insgesamt aber die Ausnahme bleiben, unter anderem da ein Asylverfahren sonst länger dauert.


Dublin-Verfahren

Etwas anders stellt sich die Situation bei den sogenannten Dublin-Verfahren dar. Das Bundesverwaltungsgericht kann hier nicht direkt Asyl gewähren oder die vorläufige Aufnahme anordnen, sondern hat nur die folgenden drei Möglichkeiten: Es kann feststellen, dass das SEM zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist, d.h. die Beschwerde abweisen (1), es kann das Verfahren für zusätzliche Abklärungen an das SEM zurückweisen (2) oder es kann das SEM anweisen, auf das Asylgesuch einzutreten und das Asylverfahren in der Schweiz durchzuführen (3).


Im Anfangs erwähnten Ungarn-Urteil entschieden sich die Richter für die zweite Variante, da die aktuelle Situation in Ungarn genauer abzuklären sei. Das SEM wurde nicht explizit angewiesen, auf die Asylgesuche einzutreten. Ob die betroffenen Asylsuchenden nach Ungarn überstellt werden, hat das SEM nun abzuklären. Somit ist noch nicht abschliessend geklärt, ob das Asylgesuch dieser Personen in der Schweiz geprüft wird und ob und gegebenenfalls mit welchem Status diese in der Schweiz bleiben können.


Fazit

Nach dem Gesagten wird offensichtlich, dass Gutheissung bei Juristen eben nicht gleich «Gutheissung» ist. Eine Unterteilung in Gutheissung und Abweisung, wie dies gerne in Statistiken gemacht wird, ist bereits aufgrund der komplexen Unterscheidung zwischen inhaltlicher Gutheissung und Kassation nicht als zielführend zu bezeichnen.

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