Am 5. Juni 2016 hat das Schweizer Stimmvolk einem revidierten Asylsystem zugestimmt. Die meisten Asylverfahren sollen in Zukunft in regionalen Zentren des Bundes durchgeführt werden. Durch die Bündelung von Akteuren, sowie gekürzter Verfahrensfristen sollen die Verfahren deutlich verkürzt werden. Das neue Asylsystem in der Schweiz gewährt Asylsuchenden zudem Zugang zu Beratung über das Asylverfahren, sowie eine Rechtsvertretung. Die Bereitstellung von «Gratisanwälten» gehörte zu den grössten Streitpunkten während des Abstimmungskampfes, wobei sich viele zivilgesellschaftliche Organisationen – so auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe – für das neue Asylgesetz aussprachen. Seit der Abstimmung sind nun die rechtlichen Grundlagen des neuen Verfahrens klar; deren konkrete Umsetzung in Verordnungen und Praxis ist aber nach wie vor in Arbeit. Vor diesem Hintergrund kann es sich lohnen, auf die Erfahrung anderer Länder zu schauen, deren Asylverfahren ähnliche Elemente wie das der Schweiz beinhalten.
Zum Beispiel Grossbritannien
Das britische Migrationsrecht gewährt Asylsuchenden ohne eigene finanzielle Mittel seit 2004 während des gesamten Asylverfahrens Zugang zu Beratung und Rechtsvertretung. Im Gegensatz zum Schweizer System, sind Beratung und Rechtsvertretung nicht direkt in den Asylzentren gewährleistet, sondern die Asylsuchenden können sie frei wählen. Für ihre Arbeit werden die Rechtsvertreter nach einer fixen Pauschale entschädigt. Diese wurden im Zuge drastischer Sparmassnahmen allerdings stark gekürzt. So können für die Vorbereitung eines Asylgesuchs nur noch etwa 130 Franken, für die Beratung und Vertretung während des erstinstanzlichen Verfahrens knapp 530 Franken veranschlagt werden. Ausnahmen gibt es nur bei unbegleiteten Minderjährigen und wenn Rechtsvertreter belegen können, dass sie mehr als das Dreifache der normal veranschlagten Zeit benötigt haben. Für die Vorbereitung einer Beschwerde gibt es gar keine staatliche Entschädigung mehr, so dass die Rechtsvertretungen ein Beschwerdeverfahren auf eigene Risiken betreiben müssen. Ihre Arbeit ist nur dann finanziert, wenn das Gericht ihren Fall als aussichtsreich einschätzt.
Die Umsetzung des Rechtsschutzes in Grossbritannien hat zur Folge, dass viele Rechtsvertretungen und Beratungsorganisationen entweder auf andere Finanzierungsquellen angewiesen sind oder aber die Arbeit im Asylbereich ganz einstellen mussten. Das Finanzierungssystem setzt zudem wohl falsche Anreize. So regt es dazu an, sich auf einfache Fälle zu konzentrieren, nicht die notwendige Vorbereitungszeit zu investieren und so insgesamt an der Qualität der Beratung und Vertretung zu sparen, um rentabel zu bleiben. Dies hat besonders deswegen negative Auswirkungen, weil eine gute Beratung zu Beginn des Asylverfahrens besonders wichtig ist. Weiter hat sich die Kooperationsbereitschaft zwischen den Rechtsberatungen verschlechtert. Dies ist problematisch, weil gute Beratung in der Regel eine enge Zusammenarbeit und Wissensaustausch erfordert.
Ein Bericht des britischen Legal Services Board, der staatlichen Ombudsstelle für Rechtsdienstleistungen, kritisierte eine mangelhafte Qualitätskontrolle und Standards bei der Vertretung und Beratung in migrationsrechtlichen Angelegenheiten. Auch eine Studie der Solicitors Regulatory Authority, kam 2016 zum Schluss, dass das Beratungssystem so nicht gut funktioniert, etwa auch, weil es an klaren Qualitätsstandards mangelt und viele beratende Stellen und Personen nicht über das notwendige Wissen verfügen, um eine wirkungsvolle Beratung durchzuführen. Diese Berichte haben in Grossbritannien einiges Aufsehen erregt. Sie fallen mehr ins Gewicht als die von beteiligten Organisationen in Auftrag gegebene Studien.
Was kann man für das Schweizer Asylverfahren lernen?
Diese negativen Auswirkungen sind auch für die Schweiz relevant. Die Risiken im System Grossbritanniens können sowohl im existierenden, als auch im zukünftigen Schweizer Asylsystem vorkommen. In Bezug auf Grossbritannien ergeben sich so (mindestens) vier Lehren:
Die finanzielle Entschädigung für Beratungen und Vertretungen muss so angemessen sein, dass sie keine falschen Anreize zur schlechten, verkürzten oder selektiven Beratung setzt und keinen Verdrängungskampf auf Kosten von Qualität verursacht.
Trotz wirtschaftlichem Wettbewerb, müssen die Kooperationsbereitschaft und der Wissensaustausch von Beratungsinstitutionen erhalten bleiben und gefördert werden.
Qualitätsstandards in der Rechtsberatung müssen verbindlich festgesetzt, gefördert und regelmässig überprüft werden.
Die Umsetzung der kostenlosen Rechtsberatung und -vertretung muss regelmässig und von unabhängiger Seite überprüft werden.
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