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Writer's pictureNula Frei

«Nur politisch verbindlich»: Die Rechtsnatur des Migrationspakts

Der Migrationspakt der UNO sei zwar rechtlich nicht verbindlich, aber politisch eben schon. Mit dieser Überlegung begründen viele Politiker*innen derzeit ihre Skepsis gegenüber dem Pakt. Dazu sind einige Klarstellungen aus rechtlicher Sicht angebracht.


Kein völkerrechtlicher Vertrag

Unbestrittenermassen handelt es sich beim Pakt nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag. Ein völkerrechtlicher Vertrag ist – wie ein Vertrag zwischen Privaten – eine gegenseitige und übereinstimmende Willensbekundung zwischen souveränen Staaten. Genau wie im Privatrecht sind völkerrechtliche Verträge gemäss dem Grundsatz pacta sunt servanda bindend und ihre Nichteinhaltung kann sanktioniert werden, etwa durch Gegenmassnahmen oder – gerade bei Menschenrechtsverträgen – durch eine Rüge eines internationalen Gremiums.


Der UNO-Migrationspakt ist dies aber eben nicht, wie der Text selber an mehreren Stellen bekräftigt, u.a. in der Präambel: «Dieser Globale Pakt stellt einen rechtlich nicht bindenden Kooperationsrahmen dar…». Eine bindende «Migrationskonvention» wäre politisch völlig aussichtlos gewesen, was schon in den 1990er Jahren die Erfahrung mit der UNO-Wanderarbeiterkonvention zeigte, welche in ihrem bald 30-jährigen Bestehen von nur 50 Staaten ratifiziert wurde (darunter kein einziger westlicher Industriestaat und auch nicht die Schweiz).


Die Staaten konnten sich aber darauf einigen, alle bisher existierenden Standards zu Migration in einem einzigen Dokument zusammenzutragen. Es wird hier also mitnichten neues «Recht» geschaffen, sondern die im Pakt genannten Verpflichtungen ergeben sich aus existierenden Menschenrechtsverträgen, die der Pakt in der Präambel aufzählt, so u.a. die universelle Erklärung der Menschenrechte, die UNO-Pakte I und II, die Konvention der Vereinten Nationen gegen das transnationale organisierte Verbrechen sowie deren Zusatzprotokolle über Menschenhandel und Menschenschmuggel, das Sklavereiabkommen und einige andere. Die Schweiz hat sämtliche dieser Abkommen bereits heute ratifiziert und umgesetzt.


Auch der Bundesrat sieht den Pakt klar als eine Handlung der Aussenpolitik der Eidgenossenschaft und nicht als bindenden Vertrag. Deshalb hat er seine Entscheidung, in welcher er beschlossen hat, die parlamentarischen Beratungen zum Pakt abzuwarten bevor er diesem zustimmt, auf Art. 184 Abs. 1 BV gestützt und damit auf seine Kompetenz zur Gestaltung der Aussenpolitik und eben gerade nicht auf Abs. 2 desselben Artikels, welcher die Kompetenz des Bundesrats regelt, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren.


Verpflichtungen?

Nun befürchten Kritiker*innen, dass durch den Migrationspakt dennoch Verpflichtungen geschaffen würden. Es wird behauptet, Gerichte könnten den Pakt heranziehen, um eine neue Praxis zu schaffen. Das stimmt nicht.


Beim Pakt handelt es sich um eine politische Absichtserklärung und damit um sogenanntes «weiches Recht» (soft law), also ein Dokument ohne Vertragscharakter. Andere Beispiele für soft law sind etwa sämtliche Resolutionen der UNO-Generalversammlung. Soft law stellt formell keine Rechtsquelle des Völkerrechts dar. Damit besteht auch keine rechtliche Umsetzungspflicht im nationalen Recht (der Grundsatz pacta sunt servanda gilt hier nicht) und es gibt keine zwischenstaatlichen Sanktionsmechanismen im Falle einer Nichterfüllung.

Innerstaatlich bedeutet das, dass sich in einem Gerichtsverfahren niemand auf Normen des soft law berufen kann, um Ansprüche zu begründen. Die einzige Möglichkeit, wie soft law in nationalen Gerichtsverfahren überhaupt eine Rolle erhalten kann, ist als ergänzende Auslegungshilfe für geltende Gesetze, wenn diese unklar sind.


Gewohnheitsrecht?

Auch die Frage nach der – in den Diskussionen immer wieder betonte – Entstehung von Gewohnheitsrecht lässt sich juristisch klar beantworten. Die Voraussetzungen sind extrem hoch: Es braucht eine Rechtsüberzeugung aller Staaten (die sog. opinio juris, d.h. die Staaten müssen überzeugt sein, dass eine ungeschriebene Norm quasi Gesetzescharakter hat) und eine langjährige Übung (d.h. die Staaten müssen diese Rechtsüberzeugung während längerer Zeit durch aktive Befolgung ausdrücken). Wir sprechen hier also von Jahrzehnten gemeinsamer Überzeugung und Praxis, bis eine einzelne Regel (und schon gar nicht ein ganzer Pakt) sich zu Gewohnheitsrecht entwickelt. Eine «schleichende» Entstehung von Gewohnheitsrecht durch soft law ist durch das Erfordernis der opinio juris ausgeschlossen.


Zur Verdeutlichung: Im Bereich der Migration konnten sich bisher nur genau zwei Normen als Völkergewohnheitsrecht etablieren. Diese sind das Refoulementverbot, also das Verbot, eine Person an einen Ort zurückzuschicken wo ihr individuelle Verfolgung oder Folter droht, sowie die Pflicht der Staaten, eigene Staatsangehörige wieder zurückzunehmen.


«Politisch verbindlich»

Der Migrationspakt ist also ein Instrument der Aussenpolitik und deswegen höchstens in politischer Hinsicht bindend. Was heisst «politisch verbindlich»?


Es steht jedem Staat frei, eine politische Absichtserklärung, die er einmal abgegeben oder unterzeichnet hat, zu ignorieren. Die Kosten eines Verstosses sind gering und spielen sich, wenn dann hauptsächlich auf politischer Ebene ab, indem ein fehlbarer Staat beispielsweise von anderen Staaten öffentlich kritisiert wird. Inwiefern der damit einhergehende Verlust aussenpolitischer Glaubwürdigkeit aber grösser sein soll, als bei einem generellen Abseitsstehen vom gesamten Prozess, ist fraglich.


Der Migrationspakt ist kein verbindliches Regelwerk, sondern soll den Grundstein für einen zukünftigen Dialog zwischen Staaten bilden, im Wissen darum, dass die Herausforderungen der Migration als transnationales Phänomen nicht im Alleingang bewältigt werden können. Aus diesem Dialog könnten sich eines Tages, in ferner Zukunft, durchaus verbindliche Lösungen für die genannten Herausforderungen ergeben. Dies wäre dann aber ein Vertrag, der auch in der Schweiz den normalen parlamentarischen Weg zu durchlaufen hätte. Staaten, die sich jetzt verweigern, vergeben sich die Chance, diesen Dialog aktiv mitzugestalten und die eigenen Interessen einfliessen zu lassen.

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