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Kuriose Umfragen und Asylsuchende aus Sri Lanka

Vor kurzem war der Ärger bei Gegnerschaft und Befürwortenden der «No Billag-Inititative» gross: Die Ergebnisse einer Umfrage zur Initiative in einem Artikel der SonntagsZeitung seien nicht korrekt interpretiert worden. Der seriöse Umgang mit Daten und eine angemessene Methodik seien bei Umfragen und deren Interpretation wichtig.


Für Entscheide in Asylverfahren gilt dies noch viel mehr. Schliesslich geht es dabei um die reale Gefahr, dass Menschen in ihrem Herkunftsland an Leib und Leben bedroht sind. Vorhandene Informationen müssen sorgfältig und korrekt gesammelt und interpretiert werden. Man sollte darauf vertrauen dürfen, dass das Bundesverwaltungsgericht als höchste Instanz in der Schweiz für Asylentscheide diese Qualitätskriterien besonders ernst nimmt.


Fragwürdige Interpretation

Das Bundesverwaltungsgericht hat kürzlich in einem Referenzurteil die Praxis zu Sri Lanka verschärft. Ein wesentlicher Argumentationspunkt stützt sich vor allem auf eine Quelle: Zur Feststellung der Verbesserung der Sicherheitssituation in einem besonders prekären Gebiet im Norden Sri Lankas (das sogenannte Vanni-Gebiet) wurde als Quelle eine Umfrage des UNHCR vom Dezember 2016 verwendet. Das Resultat der Umfrage zeigt laut Gericht, dass das in diesem Gebiet massiv stationierte Militär für die Bevölkerung keine Bedrohung darstelle: «Im Allgemeinen fühlt sich die Bevölkerung im Norden sicher und nicht besonders durch die sri-lankische Armee bedroht».


Die Studie des UNHCR wurde vom Gericht vermutlich methodisch missverstanden. So wird im Methodenteil der Studie erwähnt, dass sich die Resultate nur auf die Aussagen von insgesamt 113 interviewten Familien im Norden Sri Lankas stützen. Alle interviewten Personen sind zudem freiwillig aus Indien zurückgekehrt. Es ist etwas gewagt, wenn man von Resultaten einer Umfrage dieser doch sehr kleinen und partikulären Gruppe auf das Sicherheitsempfinden der gesamten Bevölkerung im Norden Sri Lankas (mehr als eine Million Menschen) schliessen will.


Weitere Kuriositäten

Liest man die Umfrageresultate im Detail, fallen weitere Merkwürdigkeiten auf: So antworten null Prozent der Befragten, dass die Militärpräsenz ein Problem sei. Angesichts von Berichten, welche regelmässige Einschüchterung, Schikane und Übergriffen des Militärs insbesondere im Norden des Landes dokumentieren, ist die Zahl erstaunlich. Die Vermutung liegt nahe, dass die Interviewten mit ihren Antworten in erster Linie eine Konfrontation oder gar Vergeltung durch das Militär vermeiden wollten. Werden die Aussagen in der Umfrage untereinander verglichen, sind weitere Seltsamkeiten auffällig: Beispielsweise sind 83 Prozent der Befragten des stark militarisierten Distrikts Mullaitivu – wo auf zwei Zivilpersonen ein Soldat kommt – der Meinung, dass die Präsenz des Militärs kein Problem sei. Die gleiche Anzahl der Befragten im gleichen Distrikt, also wiederum 83 Prozent, geben zu Protokoll, dass sie nicht wissen, wie die Beziehung zwischen Militär und lokaler Dorfbevölkerung sei. Wie können die in den Dörfern lebenden Menschen so etwas nicht wissen und gleichzeitig der Ansicht sein, dass die Militärpräsenz völlig problemlos sei?


Zwar wird im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auch erwähnt, dass «das Militär teilweise auf Techniken der Einschüchterung zurückgreife, wie zum Beispiel Gewalt gegen die Bevölkerung», aber diese «Entgleisungen» seien ja nicht nur im Vanni-Gebiet sichtbar. Wie diese «Entgleisungen» der Sicherheitskräfte aussehen können, zeigen Zeugenaussagen von Opfern: «Einer der gefolterten Männer sagte, dass er 21 Tage in einem kleinen feuchten Raum gefangen gehalten wurde. Er wurde während dieser Zeit 12-mal vergewaltigt, mit Zigaretten verbrannt, mit Eisenstäben geschlagen und mit dem Kopf nach unten aufgehängt.» Weiter wurde kürzlich berichtet, dass 52 Menschen zwischen 2015 und Mitte 2017 in Sri Lanka von Angehörigen der staatlichen Sicherheitskräfte – darunter auch Militärangehörige – entführt und gefoltert wurden.


Es scheint, als habe sich das Gericht für wesentliche Argumente auf eine Umfrage mit begrenzter Aussagekraft abgestützt und diese fragwürdig interpretiert. Die Vermutung liegt nahe, dass das Bundesverwaltungsgericht Quellen nicht immer anhand der höchsten Qualitätskriterien überprüft und interpretiert. Es ist bedenklich, dass dies in einem Referenzurteil geschieht, welches entscheidend ist für Tausende von Asylentscheiden.


Von Adrian Schuster

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