Was bedeutet es eine Familie im Asylverfahren zu sein? Wie funktioniert das gemeinsame Verfahren und was sind die Stolpersteine? Bereits mehrmals wurden an dieser Stelle einzelne Aspekte des Familienlebens von Geflüchteten behandelt. Es wurde erörtert, unter welchen Voraussetzungen eine Person ihre Familie in die Schweiz nachziehen kann und für vorläufig Aufgenommene wurden die dafür geltenden Kriterien kritisch beurteilt. Auch die Situation von geflüchteten Familien in Bezug auf die unfreiwillige Rückkehr nach Italien wurde mehrfach thematisiert. Heute sollen beispielhaft zwei weitere Punkte aufgegriffen werden und damit das Bild einer Familie im Asylverfahren weiterentwickelt werden.
Wer ist eine Familie?
Während die Familie im allgemeinen Sprachgebrauch Eltern, Grosseltern, Geschwister und vielfach auch Cousins und Nichten einschliesst, definieren migrationsrechtliche Regeln die Familie oft als «Kernfamilie». Zu diesem Kern gehören nur Partner und minderjährige Kinder. Eine Person, welche nach einem Asylverfahren als Flüchtling anerkannt wird, kann allfälligen Kinder unter 18 Jahren und Ehegatten oder Partner_innen aus einer eheähnlichen Gemeinschaft zur Einreise in die Schweiz verhelfen. Andere Familienmitglieder sind vom Nachzug ausgeschlossen, auch wenn möglicherweise eine Abhängigkeit zwischen ihnen besteht, wie dies bei pflegebedürftigen Eltern der Fall sein kann. Weiter ist in der Schweiz auch der «umgekehrte Familiennachzug», ein Kind verhilft seinen Eltern zur Einreise, nicht möglich. Auch bei der Zuteilung von Asylsuchenden in die verschiedenen Kantonen wird die beschriebene Definition der Familie angewandt. Dies führt immer wieder zur Situation, dass Geschwister zwischen Genf und Chur hin und her fahren müssen um einander zu sehen.
Stellung der Familie im Asylverfahren
Wenn eine (Kern)Familie gemeinsam in die Schweiz einreist, so werden die Familienmitglieder zwar einzeln registriert und erhalten eine eigene «Zemis-Nummer». Fürs Asylverfahren wird die ganze Familie aber gemeinsam unter einer «N-Nummer» erfasst. Das geschieht aber nur, wenn die Personen nachweisen können, dass sie tatsächlich derselben Familie angehören. Während bei staatlich geschlossenen Ehen – je nach Herkunftsland – auf ein Familienbüchlein oder einen Trauschein zurückgegriffen werden kann, ist dieser Nachweis für Konkubinatspartner oder religiös getraute Paare schwieriger zu erbringen. So kommt es immer wieder vor, dass Menschen, die ein gemeinsames Schicksal teilen, separate Asylverfahren durchlaufen und schlimmstenfalls sogar in Asylunterkünften getrennt untergebracht werden. Dasselbe gilt für gleichgeschlechtliche Paare. Eine eingetragene Partnerschaft ist «dem Ehebund» zwar gleichgestellt, doch die Schwierigkeiten bezüglich dem Nachweis einer gelebten Beziehung sind mindestens so gross wie bei heterosexuellen Paaren.
Wird eine Familie als solche anerkannt, wird meist davon ausgegangen, dass dieselben Asylgründe für alle bestehen und damit auch nur ein Entscheid getroffen werden muss. Jedes einzelne, urteilsfähige Familienmitglied hat jedoch Anspruch auf Prüfung seiner eigenen Asylvorbringen. Wenn sich also die Gründe für die Flucht unterscheiden, so muss stets individuell entschieden werden, ob eine Person die Flüchtlingseigenschaft erfüllt. Diese Vorgabe wird insbesondere in Bezug auf frauenspezifische Fluchtmotive und bei der Anhörung von Kindern nicht immer eingehalten. Erhält ein Elternteil oder Partner in der Schweiz Asyl, so werden die anderen Familienmitglieder in diesen Schutz miteinbezogen, sofern keine besonderen Umstände dagegen sprechen.
von Tobias Heiniger
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