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Teresia Gordzielik

Ein Notfallplan Asyl für die Schweiz? – Ja, aber…

Vertretende von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden haben am 14. April 2016 Eckwerte für einen Notfallplan Asyl verabschiedet. Ziel der Notfallplanung ist es, im Falle eines raschen und starken Anstiegs von Asylgesuchzahlen unter anderem die Registrierung und Sicherheitsüberprüfung sowie Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden zu besorgen (siehe Notfallkonzept Asyl 2012). Die Eckwerte sollen die Aufgabenverteilung zwischen den staatlichen Ebenen klären. Der Bundesrat hat zwischenzeitlich vorbereitende Massnahmen zum Einsatz der Armee beschlossen (siehe unten).

Eine Notfallplanung ist grundsätzlich begrüssenswert, zeugt sie doch von vorausschauendem Denken, ermöglicht die Vorbereitung auf aussergewöhnliche zukünftige Situationen und erleichtert die Koordination und Bewältigung der anstehenden Aufgaben bei ihrem Eintreffen. Gleichwohl stellen sich kritische Fragen angesichts einer Notfallplanung im Asylbereich. Hier einige Gesichtspunkte:


1. Asyl – Ein Notfall?

Der Notfallplan Asyl legt drei Szenarien zugrunde: 10‘000 Asylgesuche in 30 Tagen bzw. in 3 Monaten oder 30‘000 Grenzübertritte in wenigen Tagen. Die Asylgesuchzahlen lassen nicht vermuten, dass die Schweiz vor einem Notfall steht (für 2016 werden insgesamt 40‘000 Asylsuchende erwartet). Zwar stiegen die Gesuchzahlen seit 2008 kontinuierlich wieder an. Selbst die Verdoppelung der Asylgesuche auf etwa 20‘000 jährlich bis 2012 konnte die Schweiz aber problemlos bewältigen (siehe Notfallkonzept 2012). Im Jahr 2015, als sehr viele Asylsuchende Schutz in Europa suchten, blieben sie in der Schweiz im Verhältnis zu anderen europäischen Staaten bedeutend niedrig; von einem Vergleich mit jenen Staaten, die in Konfliktregionen viele Flüchtlinge aufnehmen, ganz zu schweigen. Bisher besteht in der Schweiz keine Notsituation. Derzeit nehmen die Gesuchzahlen sogar wieder ab. Die real zu erwartenden Entwicklungen dürften kaum an die Szenarien des Notfallplans heranreichen. Immerhin wird klargestellt, wann frühestens ein Notfall in Betracht gezogen werden sollte. Entsprechend sind auch rechtliche Grundlagen, die vom Gesetz abweichende Massnahmen in Ausnahmesituationen erlauben, wie etwa bei einem «ausserordentlich grossen Zustrom von Asylsuchenden» (siehe Art. 55 AsylG) oder einer «Notlage im Asylbereich» (siehe Verordnung über die Requisition von Zivilschutzanlagen), einschränkend zu interpretieren und anzuwenden.


2. Unterbringung

Mittels Notfallplan soll die kurzfristige Unterbringung vieler Asylsuchenden vor allem in militärischen Einrichtungen und Zivilschutzanlagen ermöglicht werden. Dies ist aber bereits jetzt der Fall. Ausgenommen vom Notfallplan bleibt zudem die Diskussion um eine generelle (Wieder-)Aufstockung der Unterbringungskapazitäten im Asylbereich einschliesslich von Reserveplätzen, welche seit 2006 kontinuierlich abgebaut wurden. Überlegungen zur Nutzung von Einrichtungen, welche zur Unterbringung Asylsuchender geschaffen werden, fehlen.


3. Einbindung der Armee und des Grenzwachtkorps

Das Grenzwachtkorps soll im Notfall gemäss seiner Zuständigkeit für eine verstärkte Kontrolle an den Landesgrenzen und die Umsetzung von Rückübernahmeabkommen sorgen. Vorgesehen ist zudem die Unterstützung durch die Armee bei der Unterbringung von Asylsuchenden sowie materiell im Bereich Logistik, Bau, Transport und Verkehr. Der Bundesrat hat am 20. April 2016 bereits das Verteidigungsdepartement beauftragt, «alle nötigen Massnahmen zu treffen, damit die Armee bei Bedarf die zivilen Behörden, namentlich das Grenzwachtkorps, gemäss Notfallplanung unterstützen kann». Gleichwohl die Krisenbewältigung zuvorderst eine staatliche Aufgabe ist und die Einbindung relevanter staatlicher Akteure bedingt, fehlt es auf den ersten Blick doch an der Einbindung weiterer, unter anderem zivilgesellschaftlicher Akteure sowie des UNHCR, welches über Erfahrungen in der Aufnahme von Asylsuchenden bei grossen Fluchtbewegungen verfügt.


Klar ist, die dem Notfallplan zugrunde gelegten Asylgesuchzahlen bedeuten, so sie eintreffen, eine Herausforderung für die Schweiz, aber eine bewältigbare. Bedauernswert ist, dass logistische Überlegungen in den Vordergrund rücken, die Rechte der betroffenen Menschen jedoch aus dem Blick geraten. Noch bedauernswerter wäre, wenn der Notfallplan Asyl weiter die aktuelle Rhetorik in Politik und Gesellschaft bedienen sollte, wonach sich die Schweiz im Asylbereich bereits in einer «Notlage» befindet.


Das Anliegen der Schweiz, die Interessen und Bedürfnisse der Asylsuchenden ernst zu nehmen, ist jedenfalls nur glaubwürdig, wenn ebenso «Notfallpläne» für ihre psychosoziale und medizinische Betreuung, ihre Erstintegration in Sprache und vor allem Schule während des Asylverfahrens sowie ihre weitergehende berufliche und soziale Integration nach Anerkennung ausgearbeitet werden. Die gemeinsame Abstimmung von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden zum Notfallplan Asyl bezeugt, dass sie dazu grundsätzlich in der Lage sind. Dies ist positiv zu werten; zuvorderst aber sollten dennoch die erforderlichen Massnahmen getroffen werden, um die Aufnahme heute und morgen angemessen und menschenwürdig auszugestalten.

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