Als Reaktion auf die stark gestiegenen Asylgesuchszahlen hat die Europäische Union letzten November eine Vereinbarung mit der Türkei abgeschlossen, in der sich die Türkei zu verschiedenen Massnahmen verpflichtet, die der Verringerung der Asylgesuchszahlen in der Europäischen Union dienen sollen. Diese Massnahmen folgen einer dreigleisigen Strategie: Erstens sollen durch die Verbesserung der Lebensbedingungen von Flüchtlingen in der Türkei die Anreize vermindert werden, nach Europa zu flüchten (protection in the region). Zweitens sollen ausreisewillige Flüchtlinge am Verlassen des türkischen Staatsgebiets gehindert werden (non-arrival). Drittens soll die Türkei Personen zurücknehmen, die auch in der Türkei Schutz finden konnten (protection elsewhere, sog. Drittstaatenregelung). Die Vereinbarung basiert teilweise auf dem bereits seit Oktober 2014 in Kraft stehenden Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und der Türkei; auch die Schweiz möchte ein solches Abkommen mit der Türkei abschliessen.
Im Folgenden soll es darum gehen, Aspekte dieser Strategie aus rechtlicher Sicht zu beleuchten. Während protection in the region rechtlich gesehen nicht nur unproblematisch, sondern im Sinne eines effektiven Flüchtlingsschutzes gar geboten ist, stellen sich bei den beiden anderen Massnahmenkomplexen erhebliche rechtliche Probleme.
Non-arrival Massnahmen sind menschenrechtswidrig
Die Türkei und die EU haben vereinbart, zukünftig weniger Flüchtlinge nach Europa gelangen zu lassen. Dies soll mit polizeilichen und militärischen Mitteln geschehen, d.h. die türkische Küstenwache soll Flüchtlingsboote aktiv am Verlassen des türkischen Territoriums hindern. Nebst der damit verbundenen direkten Gefahr für Leib und Leben der Bootsflüchtlinge stellt ein solches Unterfangen auch eine Verletzung von Art. 12 Abs. 2 UNO-Pakt II (dem Menschenrechtspakt der Vereinten Nationen) dar, welcher als Teilgehalt der dort verankerten Bewegungsfreiheit festhält: «Jedermann steht es frei, jedes Land einschliesslich seines eigenen zu verlassen.» Beobachter erinnern daran, dass ähnliche Abkommen bereits mit Libyen und Marokko bestanden und diese beiden Länder mit teils unzimperlichen Methoden ihrer Pflicht zur Ausreiseverhinderung nachgekommen sind.
Die Türkei ist kein sicherer Drittstaat für Flüchtlinge
Die Türkei verpflichtet sich zudem, Personen zurückzunehmen, die sich vor ihrer Asylgesuchstellung in Europa in der Türkei aufgehalten haben. Diese Massnahme klingt griffig, bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass sie nur bei einem sehr kleinen Personenkreis Anwendung finden kann: Die Tatsache, dass eine Person sich zuerst in der Türkei aufgehalten hat, hat keinen Einfluss auf die Zuerkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft. Die einzige Möglichkeit, ein Gesuch wegen Aufenthalts in einem Drittstaat abzulehnen besteht darin, nicht auf das Asylgesuch einzutreten. In der Schweiz ist dies im Asylgesetz (Art. 31a) geregelt. Auch diese Regelung steht aber unter dem rechtlichen Vorbehalt, dass die Person in der Türkei als Flüchtling anerkannt wird und Schutz gegen Rückschiebung ins Herkunftsland erhält. Die Türkei anerkennt allerdings nur Personen als Flüchtlinge, die aus Europa kommen. Somit erhalten z.B. syrische Staatsangehörige keinen Schutz im Sinne der Flüchtlingskonvention in der Türkei. Auch die aktuelle politische Situation spricht gegen eine Sicherheit der Türkei als Drittstaat. Die Türkei figuriert denn auch nicht auf der Liste sicherer Staaten des Staatssekretariats für Migration.
Unabhängig von der politischen oder moralischen Bewertung der Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei zeigt sich, dass die Massnahmen schon einer oberflächlichen rechtlichen Prüfung kaum standhalten bzw. sowohl rechtlich wie praktisch nur für einen sehr eingeschränkten Personenkreis anwendbar sind.
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