Im Sommer 2016 begann die ungarische Regierung die sogenannte Balkanroute zu schliessen. Fakten statt Mythen berichtete damals über die Situation in einem Flüchtlingslager nebst der ungarisch-serbischen Grenzen in der Nähe von Röszke. Die Menschen suchten schon damals Alternativrouten und im Sommer 2017 schien die Schliessung tatsächlich die von der ungarischen Regierung gewünschte Wirkung zu haben. Nichtsdestotrotz veranlasste der ungarische Präsident die Errichtung eines zweiten Zaunes, die Erweiterung der Transitzone, die Senkung der täglichen Kontingente zur Überquerung der Grenze und die Aufstockung des Grenzpersonals. Was hat also die Schliessung der Balkanroute an Ungarns Südgrenze bewirkt?
Verschoben statt geschlossen
Tatsächlich hat sich die Balkanroute vorerst nur verschoben, denn die politischen Krisen in Afghanistan oder Syrien sind nicht gelöst worden. Die Menschen benutzen stattdessen Wege über Serbien oder Montenegro nach Bosnien. Von dort versuchen sie nach Kroatien in die EU zu gelangen. Doch Kroatien und Slowenien haben kein Interesse die Schutzsuchenden durchzulassen. So erleben wir dieser Tage ein zweites Röszke, nur diesmal heisst es Velika Kladuša. Bereits ca. 15'000 Menschen haben dieses Jahr Bosnien auf dem Weg in die EU durchquert, von denen bis Ende Juni 2018 7'600 registriert wurden. Das sind zwar viel weniger Menschen als in den Jahren 2015/16, aber für Bosnien ist dies eine Herausforderung. Im Jahr 2017 waren es keine 300 Menschen, die Bosnien durchquerten. Dieses Jahr haben schon 700 Menschen Asyl beantragt. Auch heute kommen dabei dem UNHCR zufolge die meisten Menschen aus Pakistan (30%), Syrien (17%) und Afghanistan (12%) und die meisten sind seit vielen Jahren unterwegs.
Lage vor Ort
Die humanitäre Situation in den provisorischen Zeltlagern ist kritisch, die Spannungen zwischen den erschöpften Menschen nehmen zu und die Zelte entsprechen nicht den harten Bedingungen des bosnischen Winters. Unterstützung von der EU gibt es nur bedingt und wenn, dann ist sie materieller oder finanzieller Art. Eine Aufnahme der Schutzsuchenden, wird nicht in Erwägung gezogen. Da Bosnien weder EU-, Schengen- noch Dublin-Raum ist, ist es kein ‚Ersteinreiseland‘. Schliesslich beginnen die EU mit Kroatien und der Schengen-Raum mit Slowenien. Dies erklärt teilweise – aber rechtfertigt in keiner Weise – warum beide Staaten so gewalttätig mit den Schutzsuchenden umgehen und sie direkt wieder nach Bosnien, respektive Kroatien ausschaffen. Der mögliche Beitritt Kroatiens in den Schengen-Raum Ende 2018 motiviert dieses Land weiter zur völligen Abschottung.
Die Bosnier*innen sind ihren humanitären Werten bisher treu und versuchen ein Mindestmass an Schutz und Betreuung zu gewährleisten. Der Balkankrieg in den 1990er Jahren habe die Bosnier*innen schliesslich selbst zu Vertriebenen gemacht und so scheint es, dass die Menschen im Nordwesten des Landes den Schutzsuchenden durchaus Verständnis und Mitgefühl entgegenbringen. Zudem dürfen Asylsuchende ab dem Tag des Asylgesuchs neben Schulbildung, Gesundheitsversorgung und juristischer Unterstützung auch zahlreiche andere Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Auch ist der Zugang zum Arbeitsmarkt gewährleistet, wenn binnen neun Monaten kein behördlicher Entscheid getroffen wurde. Asylgesuche sollten in Bosnien zwischen sechs und 18 Monaten bearbeitet werden. Die bosnischen Behörden sind laut einem Bericht der UNO aber mit der Anzahl der Asylanträge überfordert.
Sackgasse humanitäre Krise
Da Bosnien sowohl im Norden als auch im Westen vollständig von Kroatien umgeben ist, sind die Menschen sprichwörtlich in eine Sackgasse geraten. Wenn die EU sich nicht öffnet, werden wohl andere irreguläre Wege nach Italien, Österreich oder Deutschland gesucht. Zudem ist Bosnien nicht nur von den politischen Entscheiden seiner Nachbarstaaten abhängig, sondern auch von denen in der Türkei oder Griechenland. Die Entwicklung der Asylgesuche in Bosnien ist daher nur schwer vorhersehbar. Vorerst bleibt aber die Balkanroute auch an ihrem westlichsten Ende geschlossen und diese Schliessung bewirkt einmal mehr eine humanitäre Krise an der EU-Aussengrenze.
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